Auch im Lager rückt der Tag näher, an dem wir uns von den Kindern verabschieden müssen. Vieles haben wir in den zwei Monaten unsrer Arbeit nicht geschafft: Ein eigenes Stück zu improvisieren, eine feste Theatergruppe zu etablieren, der Gruppe eine Kontinuität im Spiel zu geben: zu chaotisch und flüchtig sind die Lebensumstände der Kinder zwischen Lehrerstreik, Unsicherheit und Langeweile. Es braucht einen Ansatz wie der NGO STEP, deren Räume und Ressourcen wir freundlicherweise für unsre Workshops nutzen dürfen: das ganze Jahr verlässlich da zu sein, jahrelang – egal ob mit Kletterkursen oder Musiktherapie. Einen langen Atem haben. Einfach immer weitermachen.
Was wir aber schaffen: Den Gruppen einen Erfolgsmoment zu geben. Bei der Performance der Sabunkaran Theatre Group im Camp wollen wir dem versammelten Publikum vor dem Hauptprogramm den Lieblingstanz der Kinder zeigen. Dazu müssen wir die verschiedenen Kleingruppen überreden, alle zusammen zu proben. Es klappt, die Kinder sind sehr aufgeregt: Zum ersten Mal werden sie unterstützt von einer Live-Band tanzen. Als wir mit den Kindern in die Halle gehen, setzen sie sich hibbelig in die erste Reihe, ertragen meine Ansprache ans Publikum und stürmen dann die Bühne.
Die Handy-Kameras der gesammelten Verwandtschaft sind auf sie gerichtet. Immer ist es ein besonderer Moment, wenn man in die Geflüchtetencamps nicht Kultur „bringt“, sondern die Bewohner:innen selbst Kultur zeigen. Der Tanz gelingt, keiner stolpert, alle sind stolz. Weil wir kein gutes Zeichen zum Ende des Tanzes ausgemacht haben, spielt die Band endlos weiter, wird lauter und lauter, bis Dilan an der Klarinette schließlich doch ein Schlusstremolo erfindet und stoppt. Erschöpft und glücklich verbeugen sich die Kinder.
Und dann hatte ein Junge aus der Theatergruppe vor der Vorstellung noch einen großen Wunsch: Er möchte einmal mit der Profi-Band zusammen auf der Bühne Gitarre spielen. Ich traue mich kaum, das Dilan, unserem musikalischen Leiter vorzuschlagen, zumal das Wunschlied des kleinen Jungen auch noch “Bella Ciao“ ist – aber Dilan moderiert die Einlage auf charmante Art an, spricht ins Mikro von einem „special guest“ und dann hört man dieses italienische Partisanenlied in einem irakischen Flüchtlingslager wie neu.
Am nächsten Tag komme ich wirklich zum letzten Mal in die Theatergruppe der Kinder: Ich habe ihnen Kreide mitgebracht und von der Lagerleitung die Erlaubnis bekommen, die Straße vor dem Kindercontainer bemalen zu dürfen. Wir haben diese Aktion für unsere 20 Theaterkinder geplant: Es kommen dreimal so viele, alle begeistert, unterfordert, begierig sich auszudrücken, reißen sie mir die deutsche Straßenkreide aus den Händen. So gerne ich zwischen den Kindern die vielen Straßenbilder bewundere, die entstehen, so beklemmend wird mir in der immer weiter anwachsenden Kindergruppe klar, was das ist, was wir hier machen: Tropfen auf heißen Steinen.
Stefan Otteni