The Iraqi conference of the birds

Nach dem ersten Kennenlernen im Jahr 2016 wurde es nun konkret. Es galt, ohne jegliche theatrale Infrastruktur mit einem Ensemble aus Laien und Profis verschiedenster Herkunft und Religion, eine Aufführung auf die Beine zu stellen.

Es kamen Aufgaben auf das Team zu, die es sich vorher nicht mal hätte ausdenken können: Einer der begabtesten Darsteller aus der Gruppe musste wieder ins Flüchtlingslager ziehen, um dort auf seine beiden Schwestern aufzupassen, weil die Eltern allein nach Syrien zurückgingen. Es fand sich zum Glück ein Modus, dass er wenigstens zweimal wöchentlich an den Proben teilnehmen konnte. Ein anderer Teilnehmer hatte Arbeit in Erbil bekommen und konnte zwei Tage lang nicht zur Probe erscheinen. Natürlich ist klar: Hinter den Grundfunktionen des Lebens, der Notwendigkeit von Arbeit, die erstmal den Lebensunterhalt sichert, und hinter der Familie muss die Probenarbeit zurückstehen. Für die Frauen und Mädchen aus der Gruppe, die nach der Abendprobe nicht alleine nach Hause kamen, musste ein gemeinsamer Fahrdienst organisiert werden, denn ein Taxi ist im Nordirak nachts oft zu unsicher für Mädchen alleine.

Ein weiteres Problem tauchte auf, mit dem der deutsche Stadttheater-Regisseur noch nie konfrontiert war: Die Proben fanden während des Ramadans statt. Wie geht man mit dem Fastenbrechen der muslimischen Schauspieler*innen um? Jeden Tag müssen die Mitspieler*innen, die seit dem Morgengrauen weder gegessen noch getrunken haben, nach Sonnenuntergang ein gutes, üppiges Essen bekommen. Wenn sie das bei ihren Familien zu sich nehmen, und sich dann erst auf den Weg zum Theater machen, kann man eine Abendprobe vergessen. Also wurde eine syrische Köchin engagiert, für die ganze Theatergruppe in der Klosterküche zu kochen. Das »iftar«, das muslimische Fastenbrechen, fand dann jeden Abend um kurz nach sieben – also direkt nach der Marienandacht – im Klostergarten statt. Einziges Problem: wie beschreibt man das im Förderantrag fürs Auswärtige Amt? Als »Catering«?

©  Cécile Massie

Doch abseits all dieser Herausforderungen ging die Arbeit an der Aufführung gut voran. Jede/r der Schauspieler*innen suchte sich ein Tal aus, das die Vögel auf ihrer Seelenreise in Attars großem Epos »Die Konferenz der Vögel«, durchqueren, und schrieb dazu eigene Texte. Besonders die erst sechzehnjährige Jumana überraschte alle mit ihren ganz eigenen Überschreibungen der bekannten Sufi-Geschichten. Da die Kinder im Gegensatz zu den Erwachsenen nachmittags proben konnten, wurden sie in eigenen Sequenzen eingebaut, die in gemeinsamen Improvisationen entstanden.

Nachdem der Originalspielort im Klostergarten zunächst Verunsicherung auslöste, wie groß und mutig hier gespielt werden musste, gewannen die Akteur*innen nach und nach immer mehr Sicherheit, man hörte und sah es in Stimme und Körper.

Das Bühnenbild wurde in den Werkstätten des Marktes gefertigt, Schreiner, Schlosser, Teppichmacher konnten von dem gesammelten europäischen Geld für ihre Arbeit fair bezahlt werden – ein gutes Gefühl. Und die Gruppe gab sich ihren Namen: The Sabunkaran Theatre Group. »Sabun« ist die Seife und das Viertel, in dem das Kloster liegt, heißt »Sabunkaran«, also Seifenmacher-Viertel. Es ist der älteste und schönste Teil dieser ansonsten sehr modernen Großstadt.

Wie bei einer deutschen Schulaufführung lockten allein die Kinder jede Menge Publikum ins Kloster. Und der Übersetzer der Produktion, Harem, hatte es geschafft, das Team in eine UNHCR-Sitzung zu schleusen: Herr Karman, der kurdische Leiter des UNHCR, fand Gefallen an unserem Projekt und bat alle, von Lagerleitungen über die NGOs bis zum Geheimdienst, uns zu unterstützen.  Alle drei Flüchtlingslager in der Umgebung von Sulaymaniyah waren bereit, uns bei sich auftreten zu lassen. In einem der IDP-Lager (Internal Displaced Persons, das sind Menschen, die innerhalb des Iraks geflohen sind, meist aus Mossul) brauchte die Gruppe allerdings beim Spielen Wachschutz, da die ethnischen Spannungen sich dort oft in Handgreiflichkeiten entladen. Aber wir hatten Glück – oder einen guten Instinkt: Wir baten die Einwohner*innen selber, eine Art Ordnungsdienst aufzustellen, da wir keine Soldaten mit Maschinengewehren bei unseren Aufführungen präsent haben wollten. Dieser »Nachbarschaftsdienst« ließ den Abend zu einem friedlichen werden: Jesid*innen und arabische Muslim*innen saßen für zwei Stunden friedfertig beieinander. Das erste Mal seit vier Jahren.

Weitere Informationen

Hier geht es zum Probentagebuch 2017 von Stefan Otteni.

Die französische Fotografin Cécile Massie begleitet die Ordensgemeinschaft seit langem und hat auch die Arbeit an der Produktion 2017 in berührenden Bildern eingefangen.

Die taz berichtete 2017 über die Arbeit von Stefan Otteni und Paolo Accardo in Sulaymaniyah.

Das Interview mit Stefan Otteni in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juni 2017 ist leider nur für Abonnent*innen abrufbar.