Der Orden von Deir Mar Musa

»Fluchtursachen bekämpfen« ist die Formel, auf die sich alle gesellschaftlichen Kräfte einigen können, wenn es gilt, die enormen globalen Wanderungen ethisch zu fassen, mit denen auch Europa in den letzten Jahren konfrontiert ist. Ein Ort, wo das im besten, weil im ganz konkreten Sinne geschieht, ist die Stadt Sulaymaniyah in der Freien Region Kurdistan im Nordirak. Dort hat sich die klösterliche Gemeinschaft von Deir Mar Musa niedergelassen, die in Deutschland vor allem durch die bewegende Friedenpreisrede von Autor und Friedenspreisträger Navid Kermani im Jahr 2015 bekannt geworden ist.
Kermani berichtete unter anderem, wie zuerst der Ordensgründer Paolo Dall´Oglio und dann noch ein weiterer Pater, Jacques Mourad, vom IS entführt wurden. Paolo Dall’Oglios Schicksal ist unbekannt, aus der Gefangenschaft ist er bis heute nicht zurückgekehrt. Pater Jacques hingegen wurde 2015 von Muslimen befreit und lebt seitdem abwechselnd in Sulaymaniyah und Rom.

© Cécile Massie

Um die bewegte und komplexe Geschichte der Gemeinschaft zu verstehen, muss man wissen: Das Mutterhaus Deir Mar Musa in der Nähe von Nebek, Syrien, kümmert sich bis heute mit noch fünf verbliebenen Mitgliedern um Syrer, die innerhalb ihres Landes vom Kriegsgeschehen vertrieben wurden, und um die Kirchengemeinde von Nebek, die zwischen Damaskus und Homs liegt. Die Berufung der Gemeinschaft Mar Musa ist es, durch Gebet, Arbeit und Gastfreundschaft aktiv den Dialog zwischen Christ*innen und Muslim*innen voranzubringen. Pater Paolo selbst pflegte dies als »harmony building« zu bezeichnen, und als eines der wesentlichen Ziele des Ordens. Es geht im Kern darum, sich dem Gegenüber zu öffnen, etwas über dessen spirituelles Erleben zu erfahren – und ihn so klarer und liebender als verletzlichen Mitmenschen respektieren zu lernen. So wurde Deir Mar Musa zu einer Schule des Zuhörens, und so möchte die Gemeinschaft weiterhin in all ihren Klöstern und Initiativen einen offenen Raum schaffen, in dem sich die Gedanken und Lebensentwürfe ihrer Gäste und Mitarbeiter*innen entfalten können.

Im Herbst 2010 wurde die Gemeinschaft Mar Musa vom damaligen Bischof von Kirkuk, S. E. Luis Sako, angefragt, ob man sich vorstellen könne, ein Haus in seiner Diözese zu gründen. Ein Jahr später bereits hat Mar Musa unter der Leitung des Schweizer Paters Jens Petzold die Arbeit in Sulaymaniyah aufgenommen. Als 2012 die Situation im Mutterhaus in Syrien für die ausländischen Mitglieder zu gefährlich wurde, und dazu noch Pater Paolo Dall’Oglio des Landes verwiesen wurde, gingen die ausländischen Brüder und Schwestern mit ihm nach Sulaymaniyah ins »Exil«.

So hat ein Teil der klösterlichen Gemeinschaft von Deir Mar Musa in Sulaymaniyah gleichsam selbst Asyl gefunden und geht dort zwischen geflohenen syrischen Christ*innen und Muslim*innen, Kurd*innen und Araber*innen unbeirrt seiner Mission nach: der Aufgabe, in tätiger Liebe das Gemeinsame der beiden Weltreligionen zu suchen und zu leben, indem sie einen Ort schaffen, an dem sich die Menschen im Respekt vor den jeweiligen Glaubenstraditionen begegnen. Ein Respekt, der aus Bekanntschaft ohne Vorurteil und Wertung wächst und sich gegen die zerstörerischen Mechanismen des Hasses stemmt, die von vielen Akteur*innen gefüttert werden.

Daran arbeitet man auf die denkbar praktischste, modernste Art: durch radikales, selbstloses Öffnen des Klosters für alle Hilfesuchenden der Gegend. Neben Angeboten wie Sprach-, Computer- und Nähkursen war auch die Gründung einer Theatergruppe Teil der konkreten Maßnahmen der Gemeinschaft.

Weitere Informationen

Navid Kermanis Rede anlässlich des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2015