Erste Workshops

Im Sommer 2016 reisten der deutsche Theater- und Opernregisseur Stefan Otteni und der italienische Choreograph Paolo Accardo erstmals nach Sulaymaniyah, um mit der Theatergruppe des Klosters zu arbeiten. Angeregt und vermittelt wurde diese Zusammenarbeit von dem Orientalisten und Schriftsteller Navid Kermani.

In zweiwöchigen Workshops arbeiteten sie mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus verschiedenen Kulturen, die in Sulaymaniyah normalerweise eher in Unkenntnis und Misstrauen nebeneinander her leben. Ziel war es zunächst, die Teilnehmer kennen zu lernen und mögliche Projekte mit ihnen gemeinsam zu sondieren. Es wurden Körper- und Tanzimprovisationen entwickelt und mit Hilfe von Übersetzer*innen ganz persönliche Geschichten erzählt, die in ersten Versuchen des dramatischen Schreibens von den Teilnehmenden festgehalten wurden.
Dabei war es eine beglückende Erfahrung für die europäischen Theatermacher mitzuerleben, wie die entwurzelten und zutiefst erschütterten einzelnen Kursteilnehmer*innen frei von sozialem oder religiösem Druck, der allzu oft den Alltag dieser Menschen bestimmt, im geschützten Raum der Kunst den anders Lebenden, anders Glaubenden spielerisch begegnen konnte. Sie hatten das Gefühl, dass die Schauspieler*innen aus solchen Begegnungen gestärkt hervorgingen. Besonders in den Kursen mit Kindergruppen gelang es immer wieder – manchmal nur für die Zeit eines Tanzes im Kreis, bei dem sich alle an den Händen fassten – Respekt und Achtsamkeit durch die Theaterarbeit spielerisch zu vermitteln.

© Cécile Massie

Nach dieser ersten intensiven Arbeitsphase zeichneten sich konkrete Umrisse eines möglichen Theaterprojekts ab: Es zeigte sich deutlich das große Bedürfnis der Akteure, die Realität ihres Lebens in Vergangenheit, Gegenwart und erhoffter Zukunft auf der Bühne zu thematisieren.
Vor allem der letzte Aspekt ist dem Leitungsteam nach wie vor ein besonderes Anliegen: die Akteur*innen der Gruppe in den künstlerischen Erfindungen zu eigenen, neuen Perspektiven zu ermutigen, der Entwertung ihres, von Flucht und Vorläufigkeit bedrohten Lebens etwas entgegen zu setzen. Aber ebenso: andere Lebensentwürfe, die vielleicht dem eigenen widersprechen, nicht als Bedrohung wahrzunehmen.

Dies führte zur Überlegung, eine große Erzählung aus dem arabischen Kulturkreis als Rahmen zu wählen und in Beziehung zu den persönlichen Berichten und ersten literarischen Texten zu setzen. Die Wahl fiel auf Attars großes Epos der Sinnsuche »Die Konferenz der Vögel«, ein persisches Märchen aus dem 12. Jahrhundert. Das Werk wurde zur Grundlage einer ersten Produktion, die die Darsteller*innen der Gruppe neben Aufführungen im Kloster in den Flüchtlingslagern der Umgebung zeigen wollten.

Allerdings war nie die Erarbeitung einzelner, perfekt geprobter Produktionen im westlichen Sinne Hauptziel der Arbeit von Otteni und Accardo in Sulaymaniyah. Viel wichtiger ist die prozesshafte Arbeit über mehrere Jahre hinweg, und vor allem: es geht darum, den Teilnehmenden Mittel an die Hand zu geben, auch selbständig weiter zu arbeiten. Es galt also von Anfang an, der Gruppe eine theatralische Struktur zu vermitteln, die ihren Wünschen und ihrem Können entspricht – flexibel genug, um sich weiter zu entwickeln, und stabil genug, um vielfältige Formsprachen tragen zu können und zum Blühen zu bringen.