in Sulaymaniyah, Irak

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JULY 2021 : Dear General …

It feels kind of unreal: I´m on my way again to my beloved theatre ensemble in Sulaymaniyah.  18 months of pandemic lockdown were enough to turn this into a surreal and precious experience. For the whole of last year our intensive theatre exchange had to dwindle down to a sparse structure of video meetings and WhatsApp calls. For theatre people, this can´t be a substitute – let alone for an ensemble like the SABUNKARAN THEATRE GROUP, that even without the virus has been changing fast and is always vulnerable, always at a tipping point.

            So I´m on my way again: Again Istanbul with it its brash offers of an aspiring international capital, again the landing in the heated night of North Iraq. I really am travelling to see a theatre premiere performed 4218 kilometers away from my home town! All my German friends think I´m crazy, but I am fully vaccinated, equipped with a heap of sandwiches and even more corona test kits.

            Radwan, the director of this premiere is coming to get me from the airport – he insisted to do this friend´s favour in the middle of the night. He is as excited as I am: Everything is as it always was  – and yet, this time everything´s different. We drive through this boiling, windy city, both high on spirits and low on sleep. Only the creaking air condition of the monastery is still the same, I learn as I unsuccessfully try to get some sleep in my room at the guest house.

            But as soon as the next day, I realize: Since I left two years ago, in our ensemble here, a lot has changed, and much for the better: It is true that still the play´s director buys the carpet for the creaking stage himself – this wooden structure -covered in staines by now – that we had constructed 2016 for our first production. But: The actors arrive, and as much as they are happy to see the “almany majnoon” (the crazy German) – they quickly leave me to do their warm up: physical and voice exercises, and a focus exercise in the circle that they introduced just recently.

            And the play itself! By mixing Fernando Arrabals famous “Letter to General Franco” from 1974 with texts from Homer´s Oddssey from 730 b.Chr,  Radwan Taleb and the ensemble – some well known faces and a lot of new ones – create a performance that in its formal energy and cutting political edginess goes far beyond anything we´ve done in the group so far. Whenever the characters on stage mention “Espanja”, it is evident for the whole audience who the Syrian, Iraqi and Kurdish actors are really talking about. No wonder the atmoshphere in the monastery´s garden during the show is one of total focus on both sides of the stage. Even the pledge, the director makes to please not to film the performance, is more or less heeded – a full sensation for everyone who knows the habits of Arabic audiences. When the play has finished it is clear that in the last 18 months, Radwan has achieved with this group many astonishing things on many different levels. 

            After the premiere, Abouna Jens, the Prior of the monastery Maryam Al-Adhra, who usually isn´t a man of many or big words, is improvising a touching speech: “When we founded this theatre group six years ago, not in our most daring dreams we could have imagined that once you would come up with such a performance. Now you finally have become a real ensemble”. The proud actors visibly cherish these words, while they munch on their food. “Dear General – it surely is exhausting to do so many evil things.” – reads one of the lines of the text. It almost serves as the headline to this special evening.  But what is counting now for the exhausted members of the group is the delicious Kurdish köfte and the Turkish beer that the monastery is inviting them to tonight. The Crazy German is the only one who´s not exhausted and for once – what a nice change – can enjoy the production´s overwhelming success as a mere guest.

Stefan Otteni

Wir brauchen Eure Hilfe!

Nach 18 Monaten Zwangspause geht es wieder los: Wir gehen zu unsrer geliebten SABUNKARAN THEATRE GROUP! 

Ab September wird im Garten des Klosters wieder geprobt, gelacht, getanzt und gelitten – Ende Oktober wird unser neues Stück aufgeführt, zuerst im Klostergarten für alle Einwohner:innen des Viertels und Theaterliebende der Stadt – dann aber auch für die Bewohner:innen der Flüchtlingslager, die in der Zeit der Pandemie von der Welt fast völlig vergessen wurden.

In den Camps harren noch Tausende auf ihre Rückkehr. Deshalb wollen wir dort dieses Jahr zum ersten Mal auch Theaterkurse für die Kinder veranstalten. In Zusammenarbeit mit STEP, einer Organisation, die sich seit Jahren durch hervorragende Arbeit mit Kindern auszeichnet, wollen wir Hilfe anbieten, die mehr leistet als ein einzelner Theaterabend es je könnte.

Diese Produktionen ernähren nicht nur ca. 30 Menschen – sie ermöglichen auch das Existieren der Gruppe übers ganze Jahr. Weil die Hilfe des Auswärtigen Amts auf drei Jahren befristet war und Sponsoren sich seit Corona zurückhaltend zeigen, brauchen wir nun Eure Hilfe umso mehr.

Spenden ist diesmal ganz leicht: Wir haben mit Betterplace einen neuen Partner: Über diese Plattform kann man uns auf verschiedenen Wegen Geld zukommen lassen. Und man bekommt dafür automatisch eine gültige Spendenbescheinigung.

Hier geht es zu unserem Aufruf:  www.betterplace.org/p98269

Herzlichen Dank für Eure Unterstützung!

Stefan Otteni, Paolo Accardo, Maren Zimmermann

Unser Theater!

von Radwan Taleb

(scroll down for english and arab version)

Bei der Sabunkaran Theatre Group in Sulaimaniyah gibt es nichts Konstantes – nur ihr Weiterbestehen! Wenn ich auf all die Wechsel sehe, die es im Team gab, auf alle Herausforderungen, die wir gemeistert haben, um ein multi-kulturelles Ensemble zu formen, und all die Hindernisse, die wir dabei überwunden haben, kann ich es selbst kaum glauben, dass es uns schon fünf Jahre gibt und wir sieben Produktionen gestemmt haben! Darüber will ich aber gar nicht reden, sondern über den Weiterbestand, die Zukunft der Gruppe.

Die letzte Vorstellung ist gerade vorbei. Wir feiern mit Bergen von Essen, von allen zusammengetragen, und laut Etikett angeblich deutschem Bier. Jemand fragt oder fragt nicht: »Und was machen wir als Nächstes?« Aber es ist zu Ende. Alle gehen zurück in ihr Leben, bis wieder eine Nachricht von mir auf ihren Handys aufpoppt: »Wir proben bald wieder« oder: »Stefan kommt« – das zweite bedeutet, dass die Schauspieler*innen bezahlt werden können, was ihre schon entfachte Begeisterung fürs Theater steigert, denn die Aufregung ist immer da, bezahlt oder nicht.

Also gut! Wir haben viel erreicht – aber wie soll das Team weitermachen? Das war für mich die drängendste Frage, als 2019 die letzte Vorstellung zu Ende war. Deswegen stellte ich alle anderen Fragen hintenan und ging an die Beantwortung dieser wichtigsten, indem ich Anfang 2020 eine Reihe von Workshops ins Leben rief, welche die »Veteranen« der Gruppe mit neuen Interessierten zusammenbrachten, die unbedingt mit uns arbeiten wollten. Es kamen mehr als 20 Teilnehmer:innen, weil ich nicht nur auf Schauspieler:innen abgezielt hatte, sondern auf alle, die sich für Theater interessierten: Autor:innen, Musiker:innen, Spieler:innen, Regisseur:innen, sogar Techniker:innen. Wir fanden bei den Teilnehmenden dann natürlich nicht das ganze Spektrum, das wir erwartet hatten, aber es war ein guter Anfang.

Als wir mit dem Workshop anfingen, waren alle verblüfft von mir zu hören, dass ich nicht hier sei, um ihnen etwas »beizubringen«. Mein Ziel als Leiter dieser Gruppe war, dafür zu sorgen, dass sich alle begegnen konnten und anfingen, sich zu vernetzen. Workshop um Workshop trieb ich sie in diese eine Richtung: »Wartet nicht darauf, bis jemand kommt und ein Stück mit euch inszeniert, macht selber eines. Zeigt mir eure Ideen und wir arbeiten daran, dass daraus Projekte und Aufführungen werden.«

© Sabunkaran Theatre Group

Zwischen dem ersten und zweiten Workshop lag ein Monat, aber dann wechselten wir auf vierzehntägig – die Teilnehmer*innen wünschten sich das, denn sie fanden diese neue Arbeitsweise sehr aufregend und fruchtbar. Sie baten mich um mehr Stunden, mehr Tage Arbeit, aber ich entschied: die vierte Arbeitsphase sollte die letzte sein. Gegen Ende des letzten Workshops hatte sich schon ein kleines Team gebildet und an einem Stück des Autors Khalil Gibran zu arbeiten begonnen. Zur selben Zeit hatte ich eine andere Gruppe für Straßentheater begeistern können, sie dachten jetzt über erste kleine Aufführungen nach, die sie zeigen würden. Der dritte Strang, der sich als Ergebnis der Workshops abzeichnete, war die Gründung einer Kooperation unserer Gruppe mit einer Universität in Sulaimaniyah, wo drei unserer Teilnehmer als Studierende kurze Stücke auf Englisch zeigten. 

Alle diese Projekte wollten wir bis Anfang Sommer 2020 verwirklicht haben und uns dann treffen, um ein Stück unter meiner Regie zu proben und uns dann wieder im Herbst mit Stefan und Paolo (zu einem neuen Projekt) treffen. Das wäre ein gutes Programm für das gesamte Jahr gewesen – wenn nicht »Corona« dazwischengekommen wäre. Aber wir sind sicher: Corona wird früher oder später wieder verschwinden, und dann kommen wir zurück, enthusiastischer denn je. 

Nach den Workshops hatte ich zu Pater Jens, dem Leiter des Klosters Deir Maryam Al-Adhra, gesagt: »Ich muss diese Gruppe in eine Stiftung umwandeln. So wird sie ihre ständig wechselnden Arbeitsbedingungen überstehen, so wird sie das  immer wechselnde Team überleben.« Aber auch Pater Jens selbst hat wunderbare Träume und einen davon hat er bereits in Angriff genommen: Uns ein Theater zu bauen! Das Sabunkaran Theatre House! Ich habe sofort angefangen, mit ihm mit zu träumen … ein unabhängiges Theater! Eine Theaterstiftung! Eine Plattform für Künstler…

Warum nicht? Haben nicht alle großen Dinge mit einem Traum angefangen?!

Aus dem Englischen von Stefan Otteni

Radwan Taleb ist ein Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur aus Syrien. 2016 übernahm er die künstlerische Leitung der Sabunkaran Theatre Group.

© Sabunkaran Theatre Group

Our Theatre!

by Radwan Taleb

There is nothing static about the Sabunkaran theatre group, except for its continuity! With all the changes in the team, all the challenges we undertook to create a multi-cultural group, and all the obstacles that come our way, I myself cannot believe that we are five years old, and that we have done seven productions! What I really want to talk about, however, is not this, but the matter of sustainability, the future of our team.

The show is over. We celebrate by eating loads of (diverse) food accompanied by self-proclaimed German beer. Someone might ask: »So, what do we do next?« or might simply not. And it’s over. Everyone goes back to their own life, until a message from me pops up on their phones: »We’ll be rehearsing soon.« Or: »Stefan is coming.« The latter means that the actors will be paid, which increases their already-ignited excitement for theatre, paid or not.

Alright! Given all of that, how is this team to continue? This, for me, has been the most pressing question since the last show. So, I put all other questions aside. At the beginning of 2020, I set out to attempt answering that question by launching a series of workshops with some of our ‘veterans’ in addition to new others who are excited to work with us. The number exceeded 20 participants, as I didn’t target only actors for the opening workshop, but anyone interested in theatre: writers, musicians, actors, directors, and even technicians. Of course, we did not end up having the wide spectrum we hoped for, but we had a good start.

© Sabunkaran Theatre Group

Everyone was stunned, at the beginning of the workshop, to hear that I was not there to »teach them«. My aim, as the group’s manager, was for everyone to meet and network. Workshop after workshop, I kept pushing in one direction: »Do not wait for someone to come and direct a play for you, make your own. Present your ideas and we will work on turning them into projects and performances.« The first and second workshops were one month apart, but the rest were held fortnightly by demand of the participants who found this new mechanism very appealing and exciting. They kept requesting more days, more hours, but I told them that the fourth would be the last. Before the end of that last workshop, a small team already formed and started rehearsing a play by Khalil Gibran. By that time, too, I had already encouraged another group to think about street theatre, and they were now discussing the potential short performances they could create. The third product of these workshops was planning a cooperation between our group and a university in Sulaimaniya, where three of our participants/students present short plays in English.

All those projects were due to be accomplished by the beginning of summer 2020, where we would gather again to rehearse and premier a play directed by me, then meet once again with Stefan and Paolo in the fall. This would have allowed us to have full program for the year if it weren’t for ‘Corona’. But we know that Corona will be gone, sooner or later, and we will come back with even more enthusiasm.

After the workshops, I told Father Jens, Head of Deir Maryam Al-Adhra: »I will turn this group into a foundation. This way, it will survive the forever-shifting circumstances and outlive its ever-changing team.« Father Jens himself has beautiful dreams, and he started actually planning to realize one: Building our theatre! The Sabunkaran Theatre House! I, too, started dreaming with him… an independent theatre! A theatre foundation! A platform for artists…

Why not? Don’t all the great things start with a dream?!

Radwan Taleb is a writer, actor and theatre director from Syria. Since 2016 he has been the artistic director of the Sabunkaran Theatre Group.

(Translated into English by Atyaf Mahdi)

© Sabunkaran Theatre Group

!مسرحنا

رضوان طالب

لا شيء ثابت في فرقة صابون كاران، سوى استمراريتها! مع كل التبدلات في الفريق، التحديات التي أخذناها على عاتقنا بخلق فرقة متعددة الثقافات، ومع كل الصعوبات التي نواجهها، أنا نفسي لا أصدق كيف أكملنا خمس سنوات من عمر الفرقة، انتجنا خلالها سبعة عروض مسرحية! لكنني لا أريد أن أتكلم هنا عن كل ذلك، بل عن الاستمرارية، عن مستقبل الفريق.

ينتهي العرض المسرحي، نحتفل بأكل الكثير من الطعام (متعدد الثقافات) مع البيرة الألمانية المغشوشة. وقد يسأل أحدهم „ماذا سنقدم في المرة القادمة؟“ وقد لا يسأل. وهذا كل شيء. يمضي كل إلى حياته الخاصة، حتى يرى رسالة مني في موبايله تقول „سنبدأ بروفات العمل الجديد“ أو „شتيفان قادم“ والأخيرة تعني وجود أجور للمثلين، مما يزيد حماسهم الموجود أصلاً للعمل حتى دون مقابل.

© Sabunkaran Theatre Group

طيب! كيف يمكن أن يستمر هذا الفريق، بالنظر إلى ما قلته حتى الآن؟ هذا هو السؤال الذي شغلني بعد آخر عرض قدمناه. فأزحت كل الأسئلة الأخرى جانباً. وكي لا أطيل سأذهب إلى التجربة الأولى في محاولتي الإجابة عن السؤال. مع بداية 2020 أطلقت سلسلة ورشات، شارك فيها بعض (المقاتلين القدماء) من الفريق، والكثير من الجدد المتحمسين للعمل معنا. تجاوز عددهم العشرين مشاركاً. فأنا لم أطلب ممثلين للمشاركة بالورشة، بل كل من يهتم بالعمل المسرحي، كتّاب، موسيقيون، ممثلون، مخرجون وحتى فنييون. طبعاً لم نحصل على كل هذا التنوع، لكننا بدأنا.

تفاجأ الجميع حين أخبرتهم في بداية الورشة، بأني لست هنا كي „أعلّمهم“، بل إن هدفي الأول كمدير فرقة كان التعارف، والتشبيك. مع توالي الورشات، كنت أدفع باتجاه واحد „لا تنتظروا أحداً ليُخرج لكم عرضاً، بل قدموا عروضكم. قدموا أفكاركم وسنعمل معاً على تحويلها إلى مشاريع وعروض“. كان يفصل بين الورشة الأولى والثانية شهر، وبطلب من المشاركين، المتحمسين لهذه الآلية الجديدة والمغرية، توالت الورشات بفارق 15 يوماً، وكانوا يطلبون المزيد من الأيام والساعات، إلا أنني قد أخبرتهم بأن الورشة الرابعة ستكون الأخيرة. قبل انقضائها، كان قد تشكل فريق صغير وبدأ أولى بروفاته فعلاً، على نص لـ جبران خليل جبران. وكان النقاش مستمراً بين مشاركين آخرين دفعتهم للتفكير بعروض قصيرة لـ (مسرح الشارع). المشروع الثالث الذي نتج عن الورشات، بدأ بمناقشة فكرة التعاون بين الفرقة، وإحدى جامعات السليمانية، لتقديم عروض قصيرة باللغة الإنكليزية، بناءً على وجود ثلاثة مشاركين من تلك الجامعة.

كان يجب أن تنتهي هذه المشاريع مع بداية الصيف، حيث نجتمع مجدداً لعرض سأخرجه أنا، قبل أن نعمل مجدداً مع شتيفان وباولو في الخريف. وبذلك نكون قد وضعنا برنامجاً للعام كله، قبل أن يوقف (كورونا) كل شيء. لكن كورونا سيرحل بالطبع. وسنعود بنشاط وحماس أكبر.

قلت للأب ينس، رئيس دير مريم العذراء، بعد نهاية الورشات، „سوف أحوّل هذه الفرقة إلى مؤسسة“. هكذا ستستمر الحياة فيها طويلاً مهما تبدلت الظروف وتغيّر الأشخاص. الأب ينس نفسه لديه أحلام جميلة. قد بدأ فعلياً بالتخطيط لواحد منها، أن يبني مسرحنا! مسرح صابون كاران! وقد بدأت أحلم معه، مسرح مستقل! مؤسسة مسرحية! ملتقى للفنانين…

لم لا؟ أليست كل الأشياء العظيمة تبدأ بحلم!

رضوان طالب: كاتب وممثل ومخرج مسرحي من سوريا. وهو المدير الفني لفرقة صابون كاران منذ عام 2016

© Sabunkaran Theatre Group

Wie geht es weiter?

Bei aller Liebe zu den großzügigen Industrieräumen der Alten Tabakfabrik, ist das Kloster Maryam Al Adhra und sein eigentlich viel zu kleiner Probenraum dort unser Rückzugs- und Heimatort geblieben. Dort haben wir auch nach der Premiere die besseren Proben gehabt zum Stück, das wir in den Flüchtlingscamps spielen, dort haben wir mit viel Nostalgie und angehaltenem Atem den Rohschnitt des Dokumentarfilms über die Theatergruppe gesehen: »Die Irakische Konferenz der Vögel«von Shahab Kermani, der uns vor zwei Sommern so geduldig mit der Kamera begleitet hat – und auch dieses Jahr kurz vorbeischaut: Ein paar inhaltliche Ergänzungen fehlen noch im fast fertigen Film. Schon in seiner jetzigen Fassung ist die Intensität spürbar, mit der der Film unsere Theaterarbeit verbindet mit Ritualen der Sufis und gleichzeitig der traurigen Wiederbegegnung eines Teils der Flüchtlingskinder mit ihrer zerstörten Heimatstadt Qaratein. Der Film, der aus hunderten Stunden Rohmaterial zusammengesetzt ist, wird ab 2020 zu den Filmfestivals Europas reisen.

Dort, in der Küche des Klosters, haben wir auch immer wieder zusammen gegessen, zum letzten Mal ein Tag nach der ersten Vorstellungsserie vom »Letzten Granatapfel«. Der Regisseur versuchte sich wieder einmal als Koch (kurdisches Hühnchen), unterstützt von Filmer Shahab (persischer Reis) und Schwester Friederike (deutsches Rotkraut). Die Stimmung ist ebenso ausgelassen wie erschöpft: Die Wochen der Proben und Vorstellungen haben alle Mitglieder der Gruppe bis aufs Äußerste gefordert.

Trotzdem sind sie alle da: Die Spieler, die Musiker, alle Übersetzer, das ganze Team hinter der Bühne. Ich nutze die Gelegenheit und bitte alle nach dem Essen und vor dem Nachtisch zu einer Besprechung in den Probenraum – es ist die letzte Gelegenheit vor meiner Abreise, um in der Gruppe offen zu diskutieren: Was war gut dieses Jahr, was nicht. Was machen wir nächstes Jahr? Was machen wir besser? 

In den Wortmeldungen wird sehr schnell klar, dass sich viele in der Gruppe nächstes Jahr nach einem Stoff, einer Arbeitsweise sehnen, die nicht nur Tod und Krieg verhandelt wie in Bachtyar Alis Roman dieses Jahr. Wir diskutieren die Bandbreite der Möglichkeiten: Konzentrieren wir uns mehr auf die Weiterbildung der Schauspieler:innen? Auf die Aufführungen in den Flüchtlingslagern? Auf ein neues Projekt mit improvisierten persönlichen Texten? Die Meinungen sind so verschieden wie die Lebenswirklichkeiten der Ensemblemitglieder. Eine Bemerkung, die mir bleibt, ist die von Mohammed, dem Lehrer und Sozialarbeiter, der mich bei den Proben immer wieder mit seinen wachen blauen Augen und seinem unerschütterlichen Humor gerettet hat: Er hätte oft nicht verstanden, was die Übungen und Tänze bezwecken, die wir der Gruppe zugemutet hätten, aber eins wäre in der Arbeit immer klar gewesen: »The group is the message«.Besser könnte ich es nicht sagen. Und ein besseres Lob für unsere Arbeit kann man sich nicht wünschen. 

Auch als ich formuliere, dass wir uns für nächstes Jahr – wenn die großzügige Finanzierung des Auswärtigen Amtes endet – ganz neu nach Geldern umsehen müssen und wir noch nicht wissen, wo, schreckt das erstmal keinen. Haben Sie einfach Vertrauen in uns oder ist ihnen das Geld egal?

Einer sagt dann noch, abseits der Sitzung, er wünschte sich nächstes Mal mehr von der Leichtigkeit, die bei den Proben doch auch immer wieder durchgeblitzt sei – zum Beispiel als ich immer wieder im Spaß angedroht habe: »Wenn es zu traurig in der Aufführung wird, werde ich selbst in einem Granatapfelkostüm auftreten und ganz schlecht singen und tanzen.«Ich frage mich noch wieso er sich ausgerechnet an diesen Moment erinnert, da drängen die Schauspieler, jetzt endlich zum Nachtisch zu kommen, das wäre doch sonst wieder so traurig, wenn wir »nur reden«. Wir gehen in die Küche, da steht eine Torte und mitten drauf ein Bild vom Regisseur – als Granatapfel verkleidet. Das wird dann teuer nächstes Jahr, denk ich noch. Dann muss ich anschneiden.

Stefan Otteni

Das Publikum im Ashti-Camp
© Jens Petzold

Das erste Gastspiel im Flüchtlingslager

Wer gedacht hat, nach der Premiere in der Alten Tabakfabrik ist endlich die größte Arbeit vorbei, der wird nach den Anrufen in den Lagern, in denen wir dieses Jahr wieder spielen wollen, eines Besseren belehrt. Wir hatten gehofft, nach den letzten Jahren hätte sich alles eingespielt und man müsse dort nur die alten Kontakte wiederbeleben, um die Tour zu organisieren. Das Gegenteil ist der Fall, die Flüchtlingslager haben natürlich nicht gerade auf unsere Theatergruppe gewartet: Im Barika Camp bei Sulaymaniyah wird der einzige Raum, der sich zum Spielen eignet, für uns erst ab 16 Uhr frei, im Ashti Camp in Arbat scheitern wir mit unserer Bitte, bei dem Wetter diesmal in einem überdachten Raum zu spielen (das einzige große Zelt wird für Nachschub gebraucht, der mit den neuen Rojava-Flüchtlingen dringend nötig ist), und in Qushtapa bei Erbil ist das anvisierte Theater zu klein und die staatlichen Genehmigungen für das Spielen im Camp kommen nicht bei. 

Wir sind über den Gegenwind erstaunt, schreiben weiter Mails, feilschen um Termine und treffen die Mobilizer-Teams, um organisierte Nachbarschaftshilfe während den Vorstellungen zu bekommen. Im Ashti-Camp werden wir schließlich doch draußen im Schulhof spielen, nur diesmal nachmittags, damit die Sonne uns und die Zuschauer wärmt bevor es auch hier abends saukalt wird. Und in Barika unterstützt uns wieder Un Ponte Per, eine italienische NGO, die uns, geleitet von der ganz und gar wunderbaren Suheila, unterstützt wo sie nur kann: Halle, Radiostation, Schulen, alle werden aktiviert und wundern sich über die »Gruppe, die immer wieder kommt«, wie es der Radiosprecher des Camps beim Interview formuliert.

Trotzdem wir in großer Eile Plakate gedruckt und Facebook-Seiten mit Fotos bestückt haben, trotzdem uns die Kinder dort die Flugblätter für die Aufführung aus den Händen gerissen haben, fragen wir uns, als die Stühle für die Zuschauer angeliefert werden, ob diesmal überhaupt jemand kommt oder wir in der untergehenden Sonne von Arbat allein vorm Direktor der Schule spielen werden. Als um halb vier dann die Schultore geöffnet werden, überrennen uns Hunderte von Kindern und die Plätze sind um viertel vor vier schon so dicht besetzt, dass wir sogar früher anfangen könnten – oder müssten, wenn wir nicht die Ungeduld unserer jungen Zuschauer riskieren wollen.

© Jens Petzold

Ohne dass es irgendwer beschlossen hat, schnappt sich Fatima, eine der Schauspielerinnen, ein Mikro und geht in den Clinch mit den Kindern: »Mögt ihr uns? Wenn ihr uns mögt, dann bewerft uns gefälligst nicht mit Steinen oder rennt auf die Bühne.«Der ruppige Ton von Fatima erweist sich als der genau richtige – und so ist das Publikum schon aufgeputscht als die Musiker die Anfangsmusik von »Die Geschichte von Mohamad Glasherz«, wie wir unser Stück hier getauft haben, anstimmen. Das Stück hat im Gegensatz zur Aufführung in Sulaymaniyah viele Lieder und Tänze, was uns bei den tobenden Kindern immer wieder Momente von Euphorie einbringt. Die erzählenden Texte finden die meisten dagegen nicht so spannend, da werden in den hinteren Reihen auch schon mal Türme aus Stühlen gebaut – bis Mohammad Glasherz, die Hauptfigur, stirbt: Plötzlich wird die Menge überraschend still.

© Jens Petzold

Vielleicht ist der Tod zu oft schon Teil ihres Lebens gewesen. Zeit zum Trauern bleibt keine – die Vorstellung bleibt zwischen vierhundert aufgeregten Kindern ein Ritt für die Schauspieler: Beim Schlusstanz ist bei ihnen die Erleichterung deutlich zu spüren.

© Jens Petzold

Unter wuselnden Kindern wird der rote Vorhang wieder abgebaut, Fragen beantwortet und Selfies mit den Schauspielern gemacht. Es bleibt ein punktuelles Erlebnis im langweiligen, schweren Lageralltag, wie die Sonne auch, verschwindet die Sabunkaran Theatre Group nach ein paar Stunden wieder und es kommt die Nacht. Bei uns dagegen: Ausgelassenes Singen der ganzen Gruppe bei der Rückfahrt im Bus. Jeder muss reihum ein Lied anstimmen. Woher diese Ausgelassenheit? Vielleicht sind alle froh, dass sie zu ihren eigenen festen Unterkünften in der Stadt zurückkehren können.

Stefan Otteni

Die Premiere

Die Premiere lief gut: In der ausverkauften Halle sammeln sich Familie, Freunde, Literaturliebhaber und andere Neugierige der Stadt, die wissen wollen, was denn das wird, wenn ein Deutscher den kurdischen Schlüsselroman der letzten 20 Jahre inszeniert.

© Jens Petzold

Schon bei meiner Ansprache – die selbstverständlich auf kurdisch und arabisch übersetzt wird – und später dann in den Kommentaren der Zuschauer stellt sich heraus, dass die kulturelle Trennlinie gar nicht zwischen Kurden und Europa wahrgenommen wird, sondern viel schärfer zwischen Kurden und Arabern: Unsere zwei- bis dreisprachige Aufführung ist nicht nur ästhetisch ein Wagnis: Abouna Jaques, der syrische christliche Pater, lobt uns für unseren unbedingten Willen, diese beiden Sprachen und Welten dem Publikum in Vereinigung praktisch vorzuführen: War doch arabisch für die Kurden hier immer die verhasste Sprache des Unterdrückers und Kurdenhassers Saddam Hussein. Und ein Roman, der auf Al-Anfal, die Chemieangriffe des Diktators auf die Kurden, zuläuft – darf der in der Sprache des großen Widersachers gespielt werden? 

Meine Ängste lösen sich in Luft auf: Bis auf einige gelangweilte Verwandte (und ein paar völlig überforderte kleine Kinder) ist das Publikum hochkonzentriert. Ich selbst bin viel zu beschäftigt mit dem Fahren der Lichtstimmungen (aus der Traum, sich als Regisseur während der Premiere schön sentimental zu betrinken), und gerade Zmnako, der die Hauptlast des Schmerzenmannes Muzafar Subhdam spielt, blüht im Laufe des Abends im Spiel immer mehr auf. Er lässt alle Textschwierigkeiten in einem souveränen Gefühlsstrudel verschwinden, der die Zuschauer in seinen Sog mitnimmt. Und das Schönste: Die erzählende Gruppe merkt, dass sie in ihrer chorhaften Präsenz wirklich die Hauptfigur verkörpert. 

Der Applaus ist dann doch sagenhaft kurz – aber die kurdische Anerkennung wird mit ganz anderem Maß gemessen, wie ich nach der Vorstellung merke. Bei der Premierenfeier (mit Fanta und Keksen) werden mir immer mehr Zuschauer vorgestellt mit den Worten: »Dieser Mann möchte sich bedanken, dass Du die Tragödie von Rojava mitinszeniert hast.«–»Diese Frau möchte Dich sprechen, sie hat die ganze Vorstellung durchgeweint.«Tränen statt Applaus, was könnte ich mir mehr wünschen von diesem gebeutelten Volk, das die zu Literatur geronnenen Berichte seines Leidens immer wieder von Neuem erleben muss.

Zuhause im Kloster (ich sage  Zuhause, so lange bin ich schon hier), beobachte ich Abouna Jacques, der sechs Monate vom IS in Palmyra in Geiselhaft gefangen gehalten wurde, und der in seinem Buch fast wortgleich zu unserer Hauptfigur darüber berichtet, wie er die Wüste von seinem Gegner zum Tor seiner inneren Freiheit gemacht hat. Ich frage mich, was er wohl gedacht hat, als er das heute Nacht theatralisch gespiegelt gesehen hat. Er wird es mir nicht sagen. Er wird mich lange ansehen, dann wird er sagen: »Tu sais, c´étais très fort.«Dann wird er lächeln.

Stefan Otteni