Bei aller Liebe zu den großzügigen Industrieräumen der Alten Tabakfabrik, ist das Kloster Maryam Al Adhra und sein eigentlich viel zu kleiner Probenraum dort unser Rückzugs- und Heimatort geblieben. Dort haben wir auch nach der Premiere die besseren Proben gehabt zum Stück, das wir in den Flüchtlingscamps spielen, dort haben wir mit viel Nostalgie und angehaltenem Atem den Rohschnitt des Dokumentarfilms über die Theatergruppe gesehen: »Die Irakische Konferenz der Vögel«von Shahab Kermani, der uns vor zwei Sommern so geduldig mit der Kamera begleitet hat – und auch dieses Jahr kurz vorbeischaut: Ein paar inhaltliche Ergänzungen fehlen noch im fast fertigen Film. Schon in seiner jetzigen Fassung ist die Intensität spürbar, mit der der Film unsere Theaterarbeit verbindet mit Ritualen der Sufis und gleichzeitig der traurigen Wiederbegegnung eines Teils der Flüchtlingskinder mit ihrer zerstörten Heimatstadt Qaratein. Der Film, der aus hunderten Stunden Rohmaterial zusammengesetzt ist, wird ab 2020 zu den Filmfestivals Europas reisen.

Dort, in der Küche des Klosters, haben wir auch immer wieder zusammen gegessen, zum letzten Mal ein Tag nach der ersten Vorstellungsserie vom »Letzten Granatapfel«. Der Regisseur versuchte sich wieder einmal als Koch (kurdisches Hühnchen), unterstützt von Filmer Shahab (persischer Reis) und Schwester Friederike (deutsches Rotkraut). Die Stimmung ist ebenso ausgelassen wie erschöpft: Die Wochen der Proben und Vorstellungen haben alle Mitglieder der Gruppe bis aufs Äußerste gefordert.

Trotzdem sind sie alle da: Die Spieler, die Musiker, alle Übersetzer, das ganze Team hinter der Bühne. Ich nutze die Gelegenheit und bitte alle nach dem Essen und vor dem Nachtisch zu einer Besprechung in den Probenraum – es ist die letzte Gelegenheit vor meiner Abreise, um in der Gruppe offen zu diskutieren: Was war gut dieses Jahr, was nicht. Was machen wir nächstes Jahr? Was machen wir besser? 

In den Wortmeldungen wird sehr schnell klar, dass sich viele in der Gruppe nächstes Jahr nach einem Stoff, einer Arbeitsweise sehnen, die nicht nur Tod und Krieg verhandelt wie in Bachtyar Alis Roman dieses Jahr. Wir diskutieren die Bandbreite der Möglichkeiten: Konzentrieren wir uns mehr auf die Weiterbildung der Schauspieler:innen? Auf die Aufführungen in den Flüchtlingslagern? Auf ein neues Projekt mit improvisierten persönlichen Texten? Die Meinungen sind so verschieden wie die Lebenswirklichkeiten der Ensemblemitglieder. Eine Bemerkung, die mir bleibt, ist die von Mohammed, dem Lehrer und Sozialarbeiter, der mich bei den Proben immer wieder mit seinen wachen blauen Augen und seinem unerschütterlichen Humor gerettet hat: Er hätte oft nicht verstanden, was die Übungen und Tänze bezwecken, die wir der Gruppe zugemutet hätten, aber eins wäre in der Arbeit immer klar gewesen: »The group is the message«.Besser könnte ich es nicht sagen. Und ein besseres Lob für unsere Arbeit kann man sich nicht wünschen. 

Auch als ich formuliere, dass wir uns für nächstes Jahr – wenn die großzügige Finanzierung des Auswärtigen Amtes endet – ganz neu nach Geldern umsehen müssen und wir noch nicht wissen, wo, schreckt das erstmal keinen. Haben Sie einfach Vertrauen in uns oder ist ihnen das Geld egal?

Einer sagt dann noch, abseits der Sitzung, er wünschte sich nächstes Mal mehr von der Leichtigkeit, die bei den Proben doch auch immer wieder durchgeblitzt sei – zum Beispiel als ich immer wieder im Spaß angedroht habe: »Wenn es zu traurig in der Aufführung wird, werde ich selbst in einem Granatapfelkostüm auftreten und ganz schlecht singen und tanzen.«Ich frage mich noch wieso er sich ausgerechnet an diesen Moment erinnert, da drängen die Schauspieler, jetzt endlich zum Nachtisch zu kommen, das wäre doch sonst wieder so traurig, wenn wir »nur reden«. Wir gehen in die Küche, da steht eine Torte und mitten drauf ein Bild vom Regisseur – als Granatapfel verkleidet. Das wird dann teuer nächstes Jahr, denk ich noch. Dann muss ich anschneiden.

Stefan Otteni

Das Publikum im Ashti-Camp
© Jens Petzold