von Radwan Taleb
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Bei der Sabunkaran Theatre Group in Sulaimaniyah gibt es nichts Konstantes – nur ihr Weiterbestehen! Wenn ich auf all die Wechsel sehe, die es im Team gab, auf alle Herausforderungen, die wir gemeistert haben, um ein multi-kulturelles Ensemble zu formen, und all die Hindernisse, die wir dabei überwunden haben, kann ich es selbst kaum glauben, dass es uns schon fünf Jahre gibt und wir sieben Produktionen gestemmt haben! Darüber will ich aber gar nicht reden, sondern über den Weiterbestand, die Zukunft der Gruppe.
Die letzte Vorstellung ist gerade vorbei. Wir feiern mit Bergen von Essen, von allen zusammengetragen, und laut Etikett angeblich deutschem Bier. Jemand fragt oder fragt nicht: »Und was machen wir als Nächstes?« Aber es ist zu Ende. Alle gehen zurück in ihr Leben, bis wieder eine Nachricht von mir auf ihren Handys aufpoppt: »Wir proben bald wieder« oder: »Stefan kommt« – das zweite bedeutet, dass die Schauspieler*innen bezahlt werden können, was ihre schon entfachte Begeisterung fürs Theater steigert, denn die Aufregung ist immer da, bezahlt oder nicht.
Also gut! Wir haben viel erreicht – aber wie soll das Team weitermachen? Das war für mich die drängendste Frage, als 2019 die letzte Vorstellung zu Ende war. Deswegen stellte ich alle anderen Fragen hintenan und ging an die Beantwortung dieser wichtigsten, indem ich Anfang 2020 eine Reihe von Workshops ins Leben rief, welche die »Veteranen« der Gruppe mit neuen Interessierten zusammenbrachten, die unbedingt mit uns arbeiten wollten. Es kamen mehr als 20 Teilnehmer:innen, weil ich nicht nur auf Schauspieler:innen abgezielt hatte, sondern auf alle, die sich für Theater interessierten: Autor:innen, Musiker:innen, Spieler:innen, Regisseur:innen, sogar Techniker:innen. Wir fanden bei den Teilnehmenden dann natürlich nicht das ganze Spektrum, das wir erwartet hatten, aber es war ein guter Anfang.
Als wir mit dem Workshop anfingen, waren alle verblüfft von mir zu hören, dass ich nicht hier sei, um ihnen etwas »beizubringen«. Mein Ziel als Leiter dieser Gruppe war, dafür zu sorgen, dass sich alle begegnen konnten und anfingen, sich zu vernetzen. Workshop um Workshop trieb ich sie in diese eine Richtung: »Wartet nicht darauf, bis jemand kommt und ein Stück mit euch inszeniert, macht selber eines. Zeigt mir eure Ideen und wir arbeiten daran, dass daraus Projekte und Aufführungen werden.«
Zwischen dem ersten und zweiten Workshop lag ein Monat, aber dann wechselten wir auf vierzehntägig – die Teilnehmer*innen wünschten sich das, denn sie fanden diese neue Arbeitsweise sehr aufregend und fruchtbar. Sie baten mich um mehr Stunden, mehr Tage Arbeit, aber ich entschied: die vierte Arbeitsphase sollte die letzte sein. Gegen Ende des letzten Workshops hatte sich schon ein kleines Team gebildet und an einem Stück des Autors Khalil Gibran zu arbeiten begonnen. Zur selben Zeit hatte ich eine andere Gruppe für Straßentheater begeistern können, sie dachten jetzt über erste kleine Aufführungen nach, die sie zeigen würden. Der dritte Strang, der sich als Ergebnis der Workshops abzeichnete, war die Gründung einer Kooperation unserer Gruppe mit einer Universität in Sulaimaniyah, wo drei unserer Teilnehmer als Studierende kurze Stücke auf Englisch zeigten.
Alle diese Projekte wollten wir bis Anfang Sommer 2020 verwirklicht haben und uns dann treffen, um ein Stück unter meiner Regie zu proben und uns dann wieder im Herbst mit Stefan und Paolo (zu einem neuen Projekt) treffen. Das wäre ein gutes Programm für das gesamte Jahr gewesen – wenn nicht »Corona« dazwischengekommen wäre. Aber wir sind sicher: Corona wird früher oder später wieder verschwinden, und dann kommen wir zurück, enthusiastischer denn je.
Nach den Workshops hatte ich zu Pater Jens, dem Leiter des Klosters Deir Maryam Al-Adhra, gesagt: »Ich muss diese Gruppe in eine Stiftung umwandeln. So wird sie ihre ständig wechselnden Arbeitsbedingungen überstehen, so wird sie das immer wechselnde Team überleben.« Aber auch Pater Jens selbst hat wunderbare Träume und einen davon hat er bereits in Angriff genommen: Uns ein Theater zu bauen! Das Sabunkaran Theatre House! Ich habe sofort angefangen, mit ihm mit zu träumen … ein unabhängiges Theater! Eine Theaterstiftung! Eine Plattform für Künstler…
Warum nicht? Haben nicht alle großen Dinge mit einem Traum angefangen?!
Aus dem Englischen von Stefan Otteni
Radwan Taleb ist ein Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur aus Syrien. 2016 übernahm er die künstlerische Leitung der Sabunkaran Theatre Group.