Die Premiere lief gut: In der ausverkauften Halle sammeln sich Familie, Freunde, Literaturliebhaber und andere Neugierige der Stadt, die wissen wollen, was denn das wird, wenn ein Deutscher den kurdischen Schlüsselroman der letzten 20 Jahre inszeniert.

© Jens Petzold

Schon bei meiner Ansprache – die selbstverständlich auf kurdisch und arabisch übersetzt wird – und später dann in den Kommentaren der Zuschauer stellt sich heraus, dass die kulturelle Trennlinie gar nicht zwischen Kurden und Europa wahrgenommen wird, sondern viel schärfer zwischen Kurden und Arabern: Unsere zwei- bis dreisprachige Aufführung ist nicht nur ästhetisch ein Wagnis: Abouna Jaques, der syrische christliche Pater, lobt uns für unseren unbedingten Willen, diese beiden Sprachen und Welten dem Publikum in Vereinigung praktisch vorzuführen: War doch arabisch für die Kurden hier immer die verhasste Sprache des Unterdrückers und Kurdenhassers Saddam Hussein. Und ein Roman, der auf Al-Anfal, die Chemieangriffe des Diktators auf die Kurden, zuläuft – darf der in der Sprache des großen Widersachers gespielt werden? 

Meine Ängste lösen sich in Luft auf: Bis auf einige gelangweilte Verwandte (und ein paar völlig überforderte kleine Kinder) ist das Publikum hochkonzentriert. Ich selbst bin viel zu beschäftigt mit dem Fahren der Lichtstimmungen (aus der Traum, sich als Regisseur während der Premiere schön sentimental zu betrinken), und gerade Zmnako, der die Hauptlast des Schmerzenmannes Muzafar Subhdam spielt, blüht im Laufe des Abends im Spiel immer mehr auf. Er lässt alle Textschwierigkeiten in einem souveränen Gefühlsstrudel verschwinden, der die Zuschauer in seinen Sog mitnimmt. Und das Schönste: Die erzählende Gruppe merkt, dass sie in ihrer chorhaften Präsenz wirklich die Hauptfigur verkörpert. 

Der Applaus ist dann doch sagenhaft kurz – aber die kurdische Anerkennung wird mit ganz anderem Maß gemessen, wie ich nach der Vorstellung merke. Bei der Premierenfeier (mit Fanta und Keksen) werden mir immer mehr Zuschauer vorgestellt mit den Worten: »Dieser Mann möchte sich bedanken, dass Du die Tragödie von Rojava mitinszeniert hast.«–»Diese Frau möchte Dich sprechen, sie hat die ganze Vorstellung durchgeweint.«Tränen statt Applaus, was könnte ich mir mehr wünschen von diesem gebeutelten Volk, das die zu Literatur geronnenen Berichte seines Leidens immer wieder von Neuem erleben muss.

Zuhause im Kloster (ich sage  Zuhause, so lange bin ich schon hier), beobachte ich Abouna Jacques, der sechs Monate vom IS in Palmyra in Geiselhaft gefangen gehalten wurde, und der in seinem Buch fast wortgleich zu unserer Hauptfigur darüber berichtet, wie er die Wüste von seinem Gegner zum Tor seiner inneren Freiheit gemacht hat. Ich frage mich, was er wohl gedacht hat, als er das heute Nacht theatralisch gespiegelt gesehen hat. Er wird es mir nicht sagen. Er wird mich lange ansehen, dann wird er sagen: »Tu sais, c´étais très fort.«Dann wird er lächeln.

Stefan Otteni