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Wir sind wieder in Sulaymaniyah! Nach der Covid-Zwangspause im letzten Jahr können wir endlich wieder mit dem Ensemble der Sabunkaran Theatre Group arbeiten. Bevor ich aber über unsere ersten Proben mit der Gruppe erzähle, muss ich über unsere Theaterarbeit in den Geflüchtetenlagern berichten, die vor den Toren dieser nordirakischen Millionenstadt in der hier herrschenden Hitze und Trockenheit immer noch bestehen. Das Umsiedeln oder Heimkehren ist für die Bewohner entweder gar nicht möglich – in Syrien regiert der Diktator Assad mit neu erstarkter Härte – oder es wäre ein Desaster für die eigene Lage: selbst die vom IS befreiten Gebiete sind politisch instabil, inzwischen von anderen Menschen besiedelt oder schlicht und einfach wirtschaftlich ruiniert und ohne Infrastruktur wie Schulen oder Krankenhäuser zurückgelassen.
Insofern ist es – neben der Tragödie, dass manche Familien schon bis zu sieben Jahre hier leben – ein Glück, dass die Kurdische Regionalregierung diese Lager immer noch betreibt. Deshalb haben wir beschlossen, sie dieses Jahr nicht nur für Gastspiele zu besuchen, sondern unsere Zeit vor Ort auch zu nutzen, um Theaterkurse für die vielen unterforderten, vernachlässigten Kinder dort zu geben. Nach vorsichtigem Vortasten, ob die Organisation STEP (die eine lange Expertise mit den Kindern der Stadt hat) uns unter ihre Fittiche nimmt – das tut sie gerne! – gibt es kurz vor dem Beginn der Kurse erstmal einen Rückschlag: Ein Corona-Ausbruch im Camp Barika macht den direkten physischen Kontakt, den Theater braucht, unmöglich. Die Flüchtlingslager werden wieder abgeriegelt, die NGOs halten mit Kindern und Eltern den Kontakt notdürftig über Smartphones aufrecht.
Dann in der ersten Woche unseres Aufenthalts die erlösende Nachricht: Weil ihr Deutschen geimpft seid, könnt ihr die Kurse mit kleinen Gruppen anfangen. Genauso lang dieser Text braucht um endlich über Theater reden zu können, genauso viel Mühe und Umwege hat es uns gekostet, die ersten Kinderschauspieler im improvisierten Probenraum zu treffen. Aber jetzt geht dank STEP alles sehr schnell: Die ersten Kurse werden angesetzt, von den vielen Interessierten werden drei Gruppen von je sechs, sieben Kindern zusammengestellt. Und schon vier Tage nach unserer Ankunft sitzen wir um 10 Uhr morgens einer Gruppe von aufgeregten syrischen Kindern gegenüber.
Wir sind genauso aufgeregt, machen erstmal Kennenlernspiele mit dem Ball – und merken: schon den eigenen Namen laut in die Runde zu sagen ist für manche Kinder eine große Überwindung. Und für jemanden wie den kleinen Mohammed unerwartet ein Riesenspaß: immer wieder sagt er seinen Namen und lacht uns dabei aus vollem Herzen an. Vor jeder Art von Theaterausdruck werden wir also hier erstmal an dem arbeiten, was deutsche Pädagogen „Ich-Stärkung“ nennen.
Schon das nächste Spiel – „zeigt uns wie sich euer Lieblingstier bewegt“ – führt uns praktisch vor, wie verschieden die Kinder entwickelt sind. Auch die, die nur scheu dabei sitzen und zu allem den Kopf schütteln, sind uns willkommen. Wir können nur ahnen (und erfahren es Stück für Stück in den nächsten Tagen), was die Mädchen und Jungen alles erlebt haben, bevor sie hierher kamen.
Uns wird klar: Die Welt dieser Kinder ist oft ärmer an Erfahrungen als bei europäischen Gleichaltrigen, weil – so banal es ist – viele schon die längste Zeit ihres kurzen Lebens in diesem Geflüchtetenlager leben, das mit Plastikzelten, UNHCR-Containern und staubigen Straßen wenig Abwechslung oder gar Schönheit bietet. So sind die ersten Tage vor allem für uns Gäste aus dem friedlichen Europa eine Lehre. Von deutschen Kuschel-Tier-Dokus geprägt fragen wir naiv in die Runde und bekommen unsere Antworten: „Was machen zwei Tiere, die sich treffen?“ „Sie kämpfen!“ „Was könnten sie noch machen?“ „Sich aufessen!“ Gottseidank hat am Schluß Firaz, der Kleinste der Gruppe auch noch eine Frage: „Kommt ihr nächsten Mittwoch wieder?“ Ein kluger Europäer hat nach dem letzten Weltkrieg gesagt, man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.
Stefan Otteni