Drei Tage vor unserer diesjährigen Premiere kommt endlich die erlösende Nachricht: Rawaa, die letzte Woche noch überraschend Corona hatte, geht es wieder gut. Sie testet negativ und hat keine Symptome mehr. Auch die anderen Kranken sind gesund, so dass wir jetzt endlich loslegen können. Ein Kunststück bleibt es trotzdem, wie wir in drei Tagen dieses komplizierte Stück aus Dutzenden von schnellen Auftritten und kleinsten verzahnten Szenen noch so zusammensetzen, dass außer Präzision auch noch die Spiellust bleibt. So macht sich der Regisseur nicht beliebt, wenn er der erschöpften Gruppe zwei Abläufe pro Tag verschreibt, um die Leichtigkeit der Auftritte zu erreichen, die diese Produktion braucht, um den Zuschauenden wirklich ins Geschehen hineinzuziehen.

Und wirklich funktioniert am Tag der Premiere noch nicht alles wie es soll. Trotz der genial improvisierten musikalischen Übergänge der Band hört man im Off manchen im Ensemble bei den vielen schnellen Umzügen fluchen. Das Publikum, das an drei Seiten um das Quadrat des idyllischen Klostergartens sitzt, ist zuerst verwirrt und dann hingerissen vom nicht endenden Wirbel der Figuren Handkes, die das Ensemble mit so viel Einsatz und Enthusiasmus zu seinen eigenen macht. Selbst wenn das Quadrat mal leer bleibt – und dem Regisseur das Herz stockt, ob jetzt alles zusammenbricht, weil einer der Spieler gerade seinen Auftritt verpasst – nimmt das Publikum es anscheinend als gewollten Kunstmoment an diesem heißen Herbstabend mit tief fliegenden Schwalben.

Und dann, am zweiten Abend das Wunder: Aus der noch stockenden, tastenden Abfolge des ersten Abends ist plötzlich ein elegantes, fast tänzerisches Ganzes geworden – und die Szene in der die Kirchenglocken läuten und alle Figuren sich wie zum ersten Mal begegnen, ist plötzlich der stille, intensive Höhepunkt der letzten anstrengenden sechs Wochen. Wenn dann, wie vom Autor gewünscht, auch das Publikum aufsteht und mit über den Platz geht, (bei uns natürlich gecastet und geprobt: Ali, ein junger Gast des Klosters, und Marcus, der charismatische Mediator und Anleiter von non-violent-communication-Seminaren springen auf und mischen sich unter die Schauspieler), verwirren sich Bühne und Alltag aufs Schönste.

Was nimmt das Publikum mit aus dieser gewöhnungsbedürftigen Komposition von stummen körperlichen Begegnungen? Man weiß es als Beteiligter nie genau, es kommen nach dem Applaus immer nur die zum Regisseur, denen es gefallen hat, die anderen schleichen sich wortlos nach Hause. Ein Zuschauer zumindest hat eine bemerkenswerte Interpretation. Er bedankt sich für, wie er sagt „das Portrait unserer irakischen Gesellschaft, die immer versucht, sich zu verbessern, und dabei immer scheitert.“ Wie jede Gruppe eigentlich, denke ich für mich.

Stefan Otteni