Während wir uns morgens dem Sprachunterricht der Kloster- Schwestern anschließen – und zum Beispiel so lebenspraktische Dinge wie das »Gegrüßet Seist Du Maria« auf Arabisch lernen (während vor dem Fenster der Klosterbibliothek der Muezzin ruft), gehen die Proben trotz Erdogan- Einmarsch und Schauspielerverlust weiter voran. Die Schauspieler fangen langsam an, an das Prinzip der Gruppe zu glauben. Die Gruppe, die im Stück die Geschichte des Vaters, der seinen im Krieg verlorenen Sohn sucht, als Kollektiv erzählt.
Das Stück passt fast zu gut zur aktuellen Entwicklung im Land. Bei der Textverteilung stellt sich uns immer wieder die Frage: Soll man den Spielern gerade die Textzeilen geben, die sie und ihre Verwandten direkt betreffen (»- wir müssen erzählen von der Ausradierung ganzer Dörfer, Städte und Familien«) – oder überfordert man sie damit nur? Wir merken: es gibt dafür keine Regeln. Immer wieder werden die Proben überlagert durch diese, für die Schauspieler enorm wichtigen Fragen: Sollen wir ein Lied auf Kurmanji singen, der lokalen Kurdensprache im umkämpften, von »Säuberungen« bedrohten Kurdengebiet in Nordsyrien? Als Protest gegen die Zerstörung dieser Kultur? Was hält das Stück aus? Was sprengt das Ensemble?
Immer ist klar: Wenn wir uns hier an diesem sensiblen Ort mit unserem Theater auf die Position der reinen Kunst zurückziehen würden, hätten wir verloren. Nicht, dass wir das wollten, aber in Deutschland hätte man die Wahl zwischen Positionen von, sagen wir Milo Rau an einem Ende des Spektrums und vielleicht Herbert Fritsch am anderen. Hier nicht. Und immer gilt auch: wenn grundsätzliche Überlegungen Ruhe und kühlem Kopf verlangen, werden praktische Entscheidungen drängender. Spielen wir im ersten oder dritten Stock der Tabakfabrik? Kann man dort eine Küche hinter der Bühne einrichten? Kann man im November in den Flüchtlingscamps noch draußen spielen – oder riskiert man in einem Herbstgewitter zusammen mit den Geflüchteten im Schlamm zu versinken?
Und vor allem: Was heißt Happy Birthday auf Arabisch?
Stefan Otteni