Erdogan ist einmarschiert – und hat als erstes die Stadt Qamishli bombardiert, die Heimatstadt von vier unserer Schauspieler an der syrisch-türkischen Grenze. Aus unserer Perspektive hier vor Ort möchte man Klaus Kleber in den Tagesthemen dafür schlagen, dass er und viele deutsche Medien immer noch von einer »Sicherheitszone« reden. Viele Telefonate, viele Unterbrechungen der Probe, viele übernächtigte Gesichter und verweinte Augen – dann die Nachricht, die alles zu kippen droht: Ein Schauspieler steigt aus, er hat das Gefühl, er kann die vielen Anrufe während der Proben nicht mehr wegdrücken – er muss bei seinen Freunden sein, sonst machen sie Dummheiten und schließen sich noch einer bewaffneten Miliz an. Es ist ausgerechnet der Spieler der Rolle Mohammad Glasherz, der Junge, der im Buch so zart ist, dass sein Herz bei der ersten Erschütterung bricht und er verblutet, was seinen Vater, einen tapferen Peschmerga-Anführer, in die Verzweiflung treibt. Ihn haben die Ensemblekollegen vor zwei Tagen noch als Flut auf den Schultern getragen – nun ist er weg. Jeder versteht ihn, keiner weiß weiter. Wir als deutsche Pragmatiker fangen an, die kurdischen Regisseure anzurufen, die wir kennen, wir knüpfen Kontakt zur Schauspielschule vor Ort, wir fragen Freunde von Freunden. Wer kann diesen charismatischen liebenswerten Sufi ersetzen, der uns gerade von der Weltpolitik entrissen wurde? Die Nacht endet bei allen in Ratlosigkeit und Wut: Erdogan, geh aus unserem Leben.

Stefan Otteni