Nachdem unsere Gruppe durch das Verlassen von wichtigen Spielern erschüttert worden war, müssen wir für zwei wichtige Rollen im Stück neue Schauspieler suchen. Die nächsten Tage sind also, bei laufendem Probenbetrieb, bestimmt von Treffen mit Schauspielern und vor allem Besuchen in den Theaterschulen der Stadt. (Ja, es gibt eine Akademie für Theater und Tanz in Sulaymaniyah, in der man im Foyer von einem riesigen Beckett-Portrait begrüßt wird.)
Das hat den schönen Nebeneffekt, dass wir noch mehr Kontakt zu der hiesigen Künstlerszene bekommen. Auf dem Campus der Kunstakademie wie die bunten Hunde bestaunt, sitzen wir brav und interessiert morgens im Büro des Theaterstudiengangs, schildern unser Anliegen – und werden erstmal dafür gelobt, dass wir uns ausgerechnet einen Roman des berühmtesten Sohns der Stadt ausgesucht haben. Als wär‘s ein Stück von Shakespeare, kennen alle die zentralen Figuren des Romans und überlegen mit uns, welchem Studenten man so etwas Anspruchsvolles anvertrauen könnte. Mehrere Professoren bieten sich, in völliger Verkennung ihres Alters und Bauchansatzes, selbst für die Rolle des jugendlichen Liebhabers Mohamad Glasherz an – aber wir haben unsere Blicke schon auf zwei junge Schauspieler geworfen, mit den wir gerne zur Probe arbeiten würden.
Auffällig überall die Hilfsbereitschaft, mit der unserem Problem begegnet wird: ganz selbstverständlich bitten uns Bewegungsprofessoren, Schauspiellehrer, Jahrgangsleiter in ihren Unterricht – so bekommen wir unverhofft einen Einblick in die Ausbildung junger Schauspieler. Fragen sie am Ende des Unterrichts vor versammelter Klasse noch ganz brav, ob man bei uns in Deutschland mehr nach Stanislawski oder Brecht unterrichtet – sind dann nach der Stunde auf dem Flur die Fragen plötzlich ganz andere: „Könnte ich es in Deutschland als Schauspieler schaffen?“ Wir versuchen zu erklären: Eher sind es die strengen Regeln der deutschen Behörden, die euch Probleme machen werden. Gerührt von der Offenheit und Verletzlichkeit, vom Optimismus dieser jungen kurdischen Künstler, laden wir die beiden Interessantesten zum Vorsprechen ins Kloster ein.
Stefan Otteni