Es geht los! Gestern sind wir angekommen, einige Schauspieler haben uns vom Flughafen Erbil abgeholt und uns mit Musik-CDs und Ayran den ganzen langen Weg über alle Schlaglöcher hinweg bis Sulaymaniyah bei Laune gehalten.

©  Paolo Accardo

Jetzt sitzen wir vor gut zwei Dutzend Künstlern: Schauspieler, Techniker, Übersetzer, die Mitglieder des Klosters, alle sind sie gekommen um zu sehen, was das wohl wird diesmal, mit dem Text von Bachtyar Ali – wieder etwas ganz Neues nach Attar und Beckett. Die Übersetzer sind noch nicht mal ganz mit der Fassung fertig, so schnell musste alles gehen. Erste Irritation beim Lesen: Wir meinen es wirklich ernst mit einer mehrsprachigen Aufführung. Ein Schauspieler spricht auf Sorani, der lokalen Sprache der Kurden hier, sein Partner antwortet auf Arabisch. Viel Sprachtransfer ist nötig, nicht jeder spricht beide Sprachen. Wir, das deutsche Regieteam, keine gut. Babylonisches Sprachgewirr bricht aus, das uns für den Rest der Proben begleiten wird. Wie soll das gehen? Jeder hat Ideen, Bedenken und Vorschläge.

Wir möchten über den Inhalt reden, den tragischen Bürgerkrieg der Kurden, der durch Bachtyar Alis Kunst ins Universelle überschrieben wird. Bestürzt stellen wir fest: Für das Ensemble ist alles noch ganz nah. Ein junger Schauspieler meldet sich, hat für das Stück zum ersten Mal in der Geschichte seiner Stadt recherchiert (in der das Buch spielt) und erklärt uns: »Es ist hier passiert – und unsere Generation weiß davon nichts. Niemand erzählt uns davon. Das möchte ich mit diesem Stück ändern.«

©  Paolo Accardo

Der erste Abend ist viel zu kurz, um alle aktuellen Bezüge klarzulegen, um alle persönlichen Geschichten aus dieser Zeit zu hören. Ich denke beim Ins-Bett-Gehen an die alte Theaterregel des russischen Regisseurs Wachtangow: »Eine Probe ist nur dann eine gute Probe, wenn sie Stoff für die nächste Probe liefert. « Das tut sie, keine Sorge.

Stefan Otteni