Die Proben gehen voran: Als Gruppe verstehen die Spieler langsam das Prinzip des epischen Erzählens zwischen den Szenen – als Protagonisten kommen wir mit den ersten Szenen langsam zu dem Punkt, wo wir die technische Phase des Textlernens, des Sprachenverstehens überwinden und wirklich anfangen können zu spielen.
Sichtlich genießen alle die genaue psychologische Arbeit an den Figuren. Trotzdem stürzt sich das Ensemble auf die märchenhaften Elemente, zum Beispiel wenn sie für einen Kollegen eine Flut spielen, die seine Figur an die Haustür seiner großen Liebe führt. Noch mehr als in Deutschland ist es wichtig, zu erinnern, dass Theater hier mehr denn je eben kein »Sprechtheater« ist, sondern Elemente wie Musik und Tanz die Menschen immer tiefer erreichen als Text. Letztes Jahr in den Flüchtlingslagern war das unleugbar klar: An manchen Abenden wurde unser Stück ganz ok beklatscht – bis dann nach der Vorstellung unsere Band mit den Musikern aus den Lagern zusammen improvisierte, da war die Stimmung nicht mehr zu halten.
Eine zentrale Frage ist und bleibt: Wo bekommen wir die drei gläsernen Granatäpfel her, die im Buch so eine entscheidende Rolle spielen wie bei Lessings Ringparabel die drei Ringe? Aus dem Iran? Oder bestellen wir sie handgemacht bei einem Glasbläser? Genauso wichtig ist aber eine andere Frage, jedem der Schauspieler ist sie auf die Stirn geschrieben: Wird »the very stable genius« Donald Trump seine Truppen aus der benachbarten syrischen Kurdenzone abziehen – und Erdogan dort einmarschieren? Nichts ist abstrakt hier, alles brennt ganz nah.
Stefan Otteni