© THE SABUNKARAN THEATRE GROUP
Trailer »Der letzte Granatapfel«

Heute ist Premiere, und wenn sich der Regisseur sonst an diesem Tag zurücklehnen kann, sein Premierenhemd bügelt und nach der Generalprobe so dumme Sätze sagen kann wie: »Es ist alles da, ihr müsst es nur noch spielen« – ist hier in Sulaymaniyah, in der alten Tabakfabrik erstmal nichts da: Die letzte Zuschauertribüne fehlt noch, am besten hilft man selber mit, denn Shahin, der Techniker ist auch derselbe, der mit mir heute Nacht bis um vier Uhr morgens die Beleuchtungsstimmungen gemacht hat. Er ist neben Technischem Leiter, und Bühnenarbeiter auch noch Chefbeleuchter (weil der einzige), Disponent, Cateringchef und Hausmeisterberuhiger (ja, auch das gibt es in Kurdistan: besorgte Hausmeister, die alles verbieten, was nicht mit fünf Stempeln erlaubt ist).

Dann muss noch das Gemüse gekauft werden, als Requisit für den Marktverkäufer, der so elendiglich stirbt, dann die Schuhe des zweiten Sohnes nicht, das Bett des bösen Generals Snauber ist gestern kaputtgegangen und überhaupt brauchen wir noch Wasser, Blumen, Kekse – und die Tränen einer der Spielerinnen müssen getrocknet werden: gestern haben wir noch Text von ihr gestrichen und jetzt ist sie verzweifelt. Die Liste ist lang und die Nerven liegen blank. 

Gestern in der Generalprobe (unser zweiter Durchlauf überhaupt) waren wir zum ersten mal so kompakt, dass man das Stück zeigen kann, wenn Zmnako, unser begnadeter Hauptdarsteller bei den großen Textmassen die Nerven nicht verliert. Kurz: die letzten Tage waren Gewusel, 24 Stunden durcharbeiten, Tränen, Fehler, Mängel und Stromausfall an den wichtigsten Stellen des Stücks. Und dann aber plötzlich wieder das: Gashtyar, unser freundlicher Sitar-Spieler mit der zarten Stimme hat ein Gedicht geschrieben auf unser Stück. Die Musiker sind begeistert, erfinden dazu eine Musik und fragen, an welcher Stelle des Abends man das singen könnte. Wir entscheiden uns, es kurz vor der Pause zu legen, wenn der Vater erfährt, dass er seinen Sohn in der Einzelzelle nicht besuchen kann und nur mit selbst besprochenen Kassetten, die er ihm schickt, in Kontakt kommt. 

Wir legen es ohne zu proben an diese Stelle, die Schauspieler sind überrascht, das Licht fällt – ungelogen – gerade kurz davor wieder aus, der Spieler des Vaters spricht ohne Licht weiter – und dann steigt durch den dunklen weiten Raum der Fabrik Gashtyars zarte Stimme auf und schwebt zwischen die ganzen erschöpften Körper. Als das Licht wieder angeht, sehe ich in den Gesichtern des Ensembles, dass jetzt wieder alle wissen, warum wir diese Geschichte erzählen. 

Nach dem Durchlauf wird derselbe Gashtyar bescheiden fragen, ob er vor der Kritik gehen darf: Seine Mutter ist im Krankenhaus und wurde in der Nacht operiert. Er möchte bei ihr sein, wenn sie aufwacht. Ich weiss nicht was ich sagen soll.

Stefan Otteni

Aus Deutschland ein herzliches TOI TOI TOI an die Sabunkaran Theatre Group zur heutigen Premiere von »Der letzte Granatapfel«!

Maren zimmermann und alle Spender:innen